30.04.2025

Taiwan Today

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Die Beziehungen über die Taiwanstraße: Mögen sich Vernunft und Pragmatismus durchsetzen

01.09.1996
Das letztjährige Gastspiel des Ballettensembles Schanghai in Taipei ist nur ein Beleg dafür, daß zwischen Taiwan und Festlandchina ein reger Kulturaustausch stattfindet.
Als die Kommunisten das Festland eroberten und 1949 die Volksrepublik China ausriefen, verlegte die Republik China ihren Regierungssitz nach Taiwan. Die folgenden vier Jahrzehnte waren für die demokratische Republik China und die kommunistische Volksrepublik von Konfliktsituationen und Feindseligkeiten geprägt. 1987 änderte sich jedoch alles.

1987 erlaubte der damalige Präsident der Republik China, Chiang Ching-kuo, den Bürgern Taiwans, ihre Verwandten auf dem Festland zu besuchen. Seitdem haben sich die Kontakte zwischen den beiden Seiten kontinuierlich erweitert. Über die letzten neun Jahre hat die Regierung der Republik China an die 100 neue Bestimmungen erlassen, welche die Austauschmöglichkeiten weiter ausweiten sollten. Mehr als 8,47 Millionen Besuche haben zwischen den beiden Seiten bereits stattgefunden, Die Bürger beider Seiten haben mehr als 115 Millionen Briefe aneinander verschickt und die doppelte Anzahl an Telefongesprächen miteinander geführt.

Der indirekte Handel zwischen Taiwan und dem Festland überschritt 1995 33,7 Milliarden DM, und laut Angaben des Wirtschaftsministeriums der Republik China haben die indirekten Investitionen taiwanesischer Geschäftsleute auf dem Festland mittlerweile 8,5 Milliarden DM erreicht. Aus festlandchinesischen Statistiken geht hervor, daß weitere 44 Milliarden DM an taiwanesischen Investitionsgeldern schon vertraglich festgeschrieben worden sind.

Durch den Austausch auf sportlicher Ebene versuchen die beiden Seiten der Taiwanstraße ebenfalls, ihre Gegensätze zu überbrücken.


Die Regelung der wachsenden Beziehungen

Während der letzten neun Jahre hat die Regierung der Republik China bedeutende Schritte unternommen, um den herrschenden Argwohn abzubauen und engere Beziehungen zwischen den beiden Seiten zu fördern. 1990 wurde der Nationale Vereinigungsrat (National Unification Council, NUC) unter dem Präsidialamt ins Leben gerufen. Ein Jahr darauf folgten der Rat für Festlandangelegenheiten (Mainland Affairs Council, MAC), der dem Exekutiv-Yüan untersteht, sowie die private Stiftung Austausch beiderseits der Taiwanstraße (Straits Exchange Foundation, SEF).

Noch im selbem Jahr gab Präsident Lee Teng-hui das Ende der Periode der Nationalen Mobilmachung zur Niederschlagung des Kommunistischen Aufstands bekannt. 1992 wurde dann das Statut "über die Beziehung zwischen den Menschen auf Taiwan und dem Festland" ausgerufen. Diese Schritte demonstrierten die Aufrichtigkeit und den guten Willen der Republik China auf Taiwan, die Rahmenbedingungen für eine friedliche Koexistenz der beiden Seiten herbeizuführen.

Diese Maßnahmen legten den Grundstein für den Plan der Regierung, die Festlandangelegenheiten in den Vordergrund zu rücken. 1991 hatte der NUC die Richtlinien für die nationale Wiedervereinigung vorgestellt. Die Richtlinien schreiben drei Phasen auf dem Weg zur Wiedervereinigung auf der Grundlage von Freiheit, Demokratie und Wohlstand vor.

Bevor sich die beiden Seiten jedoch in die erste kurze Phase des Austauschs und der gegenseitigen Bemühungen begeben können, muß die Volksrepublik allerdings ihre Drohung, auch militärisch gegen Taiwan vorzugehen, zurücknehmen und ihre Versuche einstellen, eine Mitwirkung der Republik China in der internationalen Gemeinschaft zu verhindern.

1994 stellte die Republik China mit dem Regierungsvorschlag Beziehungen zwischen den beiden Seiten der Taiwanstraße das Konzept "ein Land, zwei gleichwertige politische Rechtsgebilde" vor. Diese Sichtweise unterscheidet sich wesentlich von Pekings Konzept "ein Land, zwei Systeme", unter welchem die Regierung der Republik China auf die Ebene einer Provinzregierung herabgestuft werden würde.

Auf Taiwan mangelt es an erfahrenen Lehrern für traditionelle chinesische Oper. Daher wurden für die Nachwuchsausbildung in dieser Sparte der darstellenden Kunst Lehrer vom Festland eingeladen.

Ein systematischer, wenn auch inoffizieller Austauschkanal zwischen den beiden Seiten wurde 1993 mit den historischen Singapur-Gesprächen zwischen Koo Chen-fu, dem Vorsitzenden der SEF, und Wang Daohan, dem Vorsitzenden der ARATS (dem festlandchinesischen Pendant der SEF), ins Leben gerufen. Seitdem wurden regelmäßig Gesprächsrunden zwischen den beiden Seiten abgehalten, bis dann das festlandchinesische Regime diesen Kommunikationskanal im Juli 1995 wieder schloß und eine Serie von provozierenden Raketentests vor der Küste Taiwans durchführte. Diese sollten dem Unmut Pekings über die USA-Reise von Präsident Lee Teng-hui im vorangegangenen Monat Ausdruck verleihen.

Bei dem Versuch, Einfluß auf die erstmals abgehaltene Präsidentenwahl im März 1996 auszuüben, veranstaltete das Festland in den Monaten vor der Wahl erneut eine Reihe von Militärmanövern. Die Republik China antwortete darauf mit Zurückhaltung und Gelassenheit, und die ersten freien und direkten Wahlen eines Staatsoberhauptes in der 5000jährigen Geschichte Chinas wurden planmäßig abgehalten.

Es ist uns bewußt, daß Frieden und Sicherheit im asiatisch-pazifischen Raum unbedingt erforderlich sind. Die Republik China würde eine plötzliche Stagnation des wirtschaftlichen Wachstums auf dem Festland, das mit großen Anstrengungen und durch ihre Politik der Öffnung ermöglicht wurde, keineswegs begrüßen. Wir haben keine Angst vor Verhandlungen, aber wir werden nie unter dem Druck einer militärischen Bedrohung in Verhandlungen treten. Unser Standpunkt ist, daß nur der Dialog zu Lösungen der Fragen zwischen den beiden Seiten der Taiwanstraße führen kann.

In Chinas Sonderwirtschaftszonen, z.B. in Shenzhen, spielen die Fabriken taiwanesischer Investoren eine wichtige Rolle.


Derzeitige Zielsetzung für die Beziehungen beiderseits der Taiwanstraße

Mit Blick auf die Jahrhundertwende sollten sich die beiden Seiten darauf besinnen, den Zustand des gegenseitigen Mißtrauens, welcher der derzeitigen Eskalation der Spannungen zugrunde liegt, ein Ende zu setzen und eine neue Epoche einzuleiten, in der die Chinesen auf beiden Seiten der Taiwanstraße für die gemeinsame Sache zusammenarbeiten. Seit einigen Jahren ist es unsere Strategie, diese für beide Seiten gewinnbringende Situation herbeizuführen, und zwar mit dem Fernziel der nationalen Wiedervereinigung. Nichtsdestotrotz handeln wir unter der Voraussetzung, daß der Schutz der Gebiete Taiwan, Penghu, Kinmen und Matsu und das Wohlergehen ihrer Einwohner gesichert sind. Leider steht Peking mit seiner Weigerung, die Existenz der Republik China anzuerkennen, der Entwicklung von verbesserten Beziehungen im Wege.

Die Republik China wurde 1912 zum unabhängigen Staat. Der Konflikt, der zwischen den beiden Seiten der Taiwanstraße herrscht, wird von den unterschiedlichen Systemen und Lebensweisen bestimmt, die ethnische und kulturelle Identität hat damit nichts zu tun. Seit über 40 Jahren konstituieren die beiden Seiten aus historischen Gründen zwei separate Rechtsordnungen, auch wenn beide Seiten von der Idee einer zukünftige Wiedervereinigung nie ganz abrückten. Nur wenn beide Seiten bereit sind, ihr ideologische Drängen auf einen historischen Revisionismus aufzugeben, in einen offenen und ehrlichen Dialog zu treten und diesen dann geduldig und mit Toleranz zu führen, können sie die Probleme der Wiedervereinigung bewältigen und für das Wohlergehen aller Chinesen sorgen.

Taipei und Peking müssen sich aufrichtig darum bemühen, die derzeitige gespannte Lage zu beenden. Präsident Lee Teng-hui hat versprochen, eine Friedensreise nach Festlandchina zu unternehmen, sollte es die Nation von ihm verlangen und er die Unterstützung der Bürger Taiwans dafür haben. Er ist des weiteren dazu bereit, mit der politischen Führungsriege des Festlands für einen direkten Gedankenaustausch zusammenzukommen, um eine neue Ära der Verständigung und Zusammenarbeit zwischen den beiden Seiten einzuläuten und Frieden, Sicherheit und Wohlstand in der asiatisch-pazifischen Region zu sichern. Es ist an der Zeit, dem Wohlergehen aller Chinesen absoluten Vorrang zu geben. Taiwans Angebot von Freundschaft und gutem Willen ist auf dem Tisch. Das Festland muß lediglich mit der Republik China zusammenarbeiten, um eine strahlende demokratische Zukunft für ein freies, wohlhabendes, und eines Tages auch wiedervereinigtes China aufzubauen.

(Deutsch von John B. Motzkuhn)

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